Patente auf Pflanzen und Tiere
Jan.

Patente auf Pflanzen und Tiere in der EU – Zwischen Innovationsschutz und Biopiraterie
Warum die Patentierung von Leben nicht nur rechtliche, sondern auch ethische und gesellschaftliche Sprengkraft besitzt
Patente auf Pflanzen und Tiere
Am 11. Dezember 2024 entschied das Europäische Parlament in Straßburg nach jahrzehntelangen Debatten über die Reform des europäischen Patentsystems. Ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung war die umstrittene Frage, ob und in welchem Umfang Patente auf Pflanzen und Tiere überhaupt zulässig sein sollen. Auf den ersten Blick mag der Schutz geistigen Eigentums als Motor für Innovationen erscheinen – doch Kritiker warnen seit Langem vor den gravierenden Folgen: steigende Kosten für Züchter und Landwirte, Einschränkung der Forschung und gesellschaftliche Ungerechtigkeit. Dieser Artikel beleuchtet ausführlich die rechtlichen Hintergründe, die Positionen der wichtigsten EU‑Organe, die Kritik von NGOs sowie die praktischen Auswirkungen auf unterschiedlichste Akteure.
1. Historischer Überblick und Rechtsrahmen
1.1 Entstehung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ)
Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) von 1973 legte den Grundstein für ein harmonisiertes Patentsystem in Europa. Es definiert in Artikel 53 unter anderem Ausnahmen von der Patentierbarkeit: „Pflanzen oder Tiere, reine Entdeckungen von Pflanzen oder Tieren oder wesentliche biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren sind von der Patentierung ausgeschlossen.“ Eine entscheidende Lücke bildete jedoch die Ausnahmeregelung, dass nicht‑biologische Verfahren und deren Produkte patentierbar bleiben – was in der Praxis zu einer immer weitergehenden Erteilung von Patenten auf Pflanzen und Tiere führte.
1.2 Einheitliches Patent und UPC
Mit der Einführung des Europäischen Einheitspatents und dem geplanten Unitary Patent Court (UPC) sollte 2023 die Durchsetzung von Patenten in EU‑Mitgliedstaaten vereinfacht werden. Doch im Plenum des Europäischen Parlaments stießen insbesondere Regelungen zum Schutz von Pflanzen‑ und Tierzucht zunehmend auf Ablehnung. Kritiker monieren, dass das neue System speziell für Konzerne Vorteile schafft, während kleine und mittlere Züchter (KMU) mit hohen Kosten und komplexen Verfahren konfrontiert werden.
2. Zweifel an der rechtlichen Struktur
2.1 Kritik aus dem Rechtsausschuss
Rechts‑ und Patentexperten im Rechtsausschuss des Parlaments äußerten erhebliche Zweifel an der Kohärenz der Reformvorschläge. Ein O‑Ton lautete:
„Ich wollte das ganze schriftlich, doch der Ausschuss mit seiner Mehrheit hat dies abgelehnt – war da schlechtes Gewissen im Spiel?“
Die Befürchtung: Die Regelungen verletzen das EPÜ und überschreiten die Kompetenzen, die den EU‑Institutionen laut Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zustehen.
2.2 Rolle des Europäischen Patentamts (EPO)
Das Europäische Patentamt (EPO) agiert als autonome Einrichtung außerhalb der direkten Kontrolle der EU‑Organe. Mit über 180 000 Anmeldungen im Jahr entscheidet es maßgeblich über Patentpraxis in Europa. Die Sorgen lauten, dass das EPO zunehmend lebensnahe Erfindungen patentiert – von gentechnisch veränderten Pflanzensorten bis zu Verfahren in der Tierzucht. Eingaben von NGOs und Züchterverbänden bleiben oft wirkungslos, da Rechtsmittel vor dem EPO selbst oder dem UPC begrenzt sind.
3. Das neue Einheitspatent: Fluch oder Segen?
3.1 Komplexität und Kosten
Das Einheitspatent sollte nach EU‑Kommissionsvorstellung Patentinhaber entlasten, indem nur noch eine zentrale Übersetzung notwendig ist. Doch in der Praxis erweist sich die Durchführung als komplizierter als erwartet:
- Verfahrenskosten: Anwalts‑ und Gutachterkosten steigen, da das UPC Verfahren verbindlich regelt.
- Zugangshürden: KMU und Forschungsinstitute fehlen oft Ressourcen für laufende Klagen oder Einsprüche.
- Strategischer Einsatz: Großunternehmen nutzen Patente, um Konkurrenten durch Gerichtsklagen auszuschalten; nicht die technische Qualität, sondern Prozessmacht entscheidet.
3.2 NGO‑Positionen
Umwelt‑ und Verbraucherorganisationen wie Friends of the Earth Europe oder BirdLife Europe fordern klare Grenzen:
„Patente auf Tiere und Pflanzen gefährden die biologische Vielfalt und das Gemeingut Saatgut.“
Sie pochen auf eine starke Ausnahmeregelung im EPÜ und eine restriktive Auslegung von Biopatenten.
4. EU‑Organe unter der Lupe
4.1 Europäischer Gerichtshof (EuGH)
Der EuGH ist in Patentfragen nur eingeschränkt zuständig. Seine Urteile zu Software oder Biopatenten haben zwar Präzedenzcharakter, ein effektiver Gerichtsschutz für Betroffene bleibt jedoch schwierig, da Klagen meist direkt beim EPO oder UPC anhängig sind und anwendbares Recht fragmentiert bleibt.
4.2 Europäische Kommission
Die Kommission treibt das Einheitspatent voran, um die Innovationsunion zu stärken. Gleichzeitig steht sie in der Kritik, die Bedenken kleinerer Akteure zu ignorieren und eine patentfreundliche Lobby großer Industriekonzerne über Gebühr zu bedienen. Verbindliche Impact Assessments zu den sozialen und ökologischen Folgen von Biopatenten fehlen bislang.
4.3 Europäisches Parlament
Im Parlament formieren sich zivilgesellschaftliche Mehrheiten, die strengere Auslegung fordern. Doch parteipolitische Interessenkonflikte erschweren eine klare Linie. Forderungen nach einem moratorium für Patente auf genetisch veränderte Organismen (GVO) wurden mehrfach blockiert.
5. Praktische Folgen der Patentpraxis
5.1 Biopatente und Forschung
Pflanzen‑ und Tierpatente erschweren öffentliche Forschung:
- Lizenzgebühren für Saatgut behindern Züchtungsarbeit an Hochschulen.
- Forschungsfreiheit wird eingeschränkt, wenn grundlegende Verfahren lizenziert sind.
- Open Science‑Initiativen verlagern sich ins außereuropäische Ausland.
5.2 Patente zur Marktabschottung
Unternehmen sichern sich Patente auf Detailinnovationen, um Mitbewerber zu blockieren – sogenannte Trivialpatente. Dies führt zu:
- Patenttrollen: Rechtsabteilungen verklagen KMU wegen geringfügiger Abweichungen.
- Monopolstellungen: Saatgut‑ und Tierzüchtungsfirmen können Preise diktieren.
5.3 Auswirkungen auf Ernährungssicherheit
In Ländern des globalen Südens beeinträchtigt das internationale Patentregime den Zugang zu lokal angepasstem Saatgut. Monsanto‑klagen haben gezeigt, wie Konzerne Landwirte verklagen, wenn patentierte Sorten in deren Feldern auftauchen – ungeachtet von Pollenflug oder Verschleppung .
6. Warum mehr Patente nicht gleich mehr Innovation bedeuten
Das Denk‑Kurzschluss-Argument „Mehr Patente = mehr Fortschritt“ greift zu kurz. Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegen:
- Patentdichte korreliert nur schwach mit tatsächlichen Innovations‑Outputs.
- Patentstau und Gerichtsstreitigkeiten bremsen oft die technische Anwendung.
- Ressourcenverschwendung durch überflüssige Patentprüfungen.
7. Handlungsempfehlungen für eine gerechte Patentpolitik
- Klare Ausschlüsse im EPÜ: Pflanzensorten, Tierzuchtverfahren und natürlich vorkommende Gene eindeutig von der Patentierung ausnehmen.
- Transparenz und Beteiligung: Öffentliche Anhörungen mit Bauern, Züchtern und NGOs vor Patentreformen.
- Kostenbegrenzung für KMU: Einheitliche Pauschalen und Prozesshilfen für Einsprüche.
- Förderung von Open Access: Staatliche Förderprogramme zur Freigabe von Grundlagenwissen in der Pflanzen- und Tierforschung.
- EuGH‑Erweiterung: Klare Zuständigkeit des EuGH für Patentstreitigkeiten, um Rechtssicherheit zu schaffen.
Patentierung von Pflanzen und Tieren in Europa
Die Patentierung von Pflanzen und Tieren in Europa steht an einem Scheidepunkt. Wo einst das Ziel war, Innovation zu schützen und zu fördern, droht heute ein System, das vor allem große Konzerne stärkt und die Autonomie kleiner Züchter sowie die globale Ernährungssicherheit gefährdet. EU‑Organe wie die Europäische Kommission und das EPO treiben eine einseitige, wirtschaftsliberale Patentpolitik voran, während Mittelstand, Forschungseinrichtungen und NGOs nur begrenzte Einflussmöglichkeiten haben. Um den Geist des EPÜ wiederherzustellen und Patente auf lebende Organismen auf ein Minimum zu begrenzen, braucht es nicht nur juristische Korrekturen, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken: Innovation muss gemeinwohlorientiert und transparent sein, statt in verschlossenen Gerichtssälen privatisiert zu werden.
Quellen und weiterführende Informationen:
OECD – Patents and Innovation: Studien zur Wirkung von Patenten auf Wirtschaft und Forschung
Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ): Text und Ausnahmen zu Biopatenten
Patente auf Pflanzen und Tiere (Wikipedia): Historie und Rechtslage