Nationales Innovationssystem

28
Dez.

Innovationspolitik im Nationalen Innovationssystem

Die Innovationspolitik versucht, Strategien zu formulieren und umzusetzen, die das jeweilige  Nationales Innovationssystem (Abkürzung: NIS) unter den gegebenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen möglichst optimal gestalten.

Netzwerk von Institutionen

Das Nationales Innovationssystem umfasst ein Netzwerk von Institutionen in Staat und Wirtschaft, die in Kooperation verschiedenste Innovationen initiieren, fördern und verbreiten wollen. Neben der Innovationspolitik gehört auch die Innovationsforschung zum Nationalen Innovationssystem. Kritiker bemängeln, dass die Innovationspolitik auf diese Weise immer mehr die bislang betriebene Industriepolitik und Technologiepolitik verdrängt. Des Weiteren sehen sie in diesem Vorgehen ein aktuelles Beispiel für ein gewisses Maß an Staatsinterventionismus innerhalb der Wirtschaftspolitik.

Nationales Innovationssystem: Motor für Fortschritt oder Spielball der Politik?

Das Konzept des Nationalen Innovationssystems (NIS) hat sich seit seiner Einführung in den 1990er‑Jahren zu einem zentralen Paradigma entwickelt, um die Komplexität von Innovationsprozessen in modernen Volkswirtschaften abzubilden. Angetrieben von der Erkenntnis, dass reine Technologieinvestitionen nicht automatisch zu wirtschaftlichem Erfolg führen, richtet der NIS-Ansatz den Blick auf das Zusammenspiel verschiedener Akteure – von staatlichen Förderinstitutionen über Hochschulen bis zu Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. In diesem Kontext übernimmt die Innovationspolitik die Aufgabe, strategische Leitplanken für Kooperationen, Forschung und Kommerzialisierung zu schaffen. Doch während das NIS in vielen Ländern als Schlüssel für nachhaltiges Wachstum gepriesen wird, bleibt es auch umstritten: Kritiker warnen vor einer Überlagerung klassischer Industrie‑ und Technologiepolitik sowie vor zu starker Staatsintervention.


Die Ursprünge des Nationalen Innovationssystems

Der Begriff „Nationales Innovationssystem“ wurde in den frühen 1990er‑Jahren von den Ökonomen Christopher Freeman und Bengt‑Åke Lundvall geprägt, um das Zusammenspiel von Forschungseinrichtungen, Unternehmen und staatlichen Stellen zu beschreiben. Sie argumentierten, dass Innovation nicht mehr allein in der isolierten Forschung und Entwicklung (F&E) von Großkonzernen stattfindet, sondern in einem Netzwerk, in dem Wissen ausgetauscht, neue Märkte erschlossen und Risiken gemeinsam getragen werden. Dieser Paradigmenwechsel entfernte sich von der Vorstellung, Innovationen ließen sich durch technologische Spitzeninvestitionen oder protektionistische Maßnahmen steuern, und rückte stattdessen die Dynamik von Lernprozessen und interaktiven Netzwerken in den Vordergrund.


Struktur und Akteure im Nationalen Innovationssystem

Ein nationales Innovationssystem besteht aus einer Vielzahl von Institutionen und Akteuren, die in unterschiedlicher Weise zur Entstehung von Innovationen beitragen. Zentrum bilden Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung betreiben. Unternehmen unterschiedlichster Größe greifen diese Erkenntnisse auf, entwickeln darauf aufbauende Produkte und Dienstleistungen und stellen sie unternehmerisch auf den Markt. Staatliche Stellen wiederum formulieren Rahmenbedingungen durch Gesetzgebung, Steueranreize und gezielte Förderprogramme.

Dabei ist die Innovationspolitik als Teilmenge des NIS dafür verantwortlich, Strategien zu entwerfen, die den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen. Sie initiiert Public‑Private‑Partnerships, finanziert Forschungsnetzwerke und unterstützt kleine und mittlere Unternehmen (KMU) etwa durch Innovationsgutscheine oder Zuschüsse für Kooperationsprojekte. Gleichzeitig analysiert die Innovationsforschung, wie effektiv diese Maßnahmen wirken, und entwickelt Empfehlungen für künftige Politikinstrumente.


Innovationsforschung und -politik im Spannungsfeld

Während die Innovationspolitik an vorderster Front agiert, erbringt die Innovationsforschung die notwendige empirische Grundlage. Sie untersucht Innovationsindikatoren, misst Forschungs‑ und Entwicklungsausgaben und erstellt Benchmarks im internationalen Vergleich. So zeigt etwa der Global Innovation Index der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) und anderer Institutionen, wie verschiedene Länder im Hinblick auf Rahmenbedingungen, Unternehmertum und technologische Ergebnisse abschneiden.

Kritiker bemängeln jedoch, dass sich die Innovationspolitik häufig in feinen Wortschöpfungen und Programmtiteln verliert, ohne substanzielle Veränderung der realen Bedingungen herbeizuführen. Statt technik‑ und industriepolitische Instrumente zu ergänzen, verdränge die Innovationspolitik oft diese etablierten Felder. Zugleich schwinge im Hintergrund ein beunruhigender Hauch von Staatsinterventionismus mit, wenn Regierungen durch nationale Champions‑Programme und gezielte Subventionen in die Wettbewerbsdynamik eingreifen.


Deutschland im Spiegel des Nationalen Innovationssystems

Deutschland gilt seit Langem als Vorzeigeland für das Zusammenspiel von Industrie, Forschung und Politik. Das berühmte Modell der Sozialen Marktwirtschaft kombiniert Wettbewerb mit staatlicher Steuerung, etwa über die Fraunhofer‑Gesellschaft, die als Brücke zwischen Hochschulforschung und industrieller Anwendung fungiert. Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) unterstützt gezielt KMU bei der Umsetzung innovativer Projekte, während die steuerliche Forschungsförderung seit 2020 zusätzliche Anreize setzt.

Dennoch zeigen aktuelle Analysen des European Innovation Scoreboard, dass Deutschland insbesondere bei hochinnovativen Start‑ups und radikalen Innovationen hinter den Spitzenreitern zurückbleibt. Die Innovationsforschung führt dies auf komplizierte Förderverfahren, mangelnde Risikobereitschaft und eine Konzentration auf inkrementelle Verbesserungen zurück – Symptome einer Innovationspolitik, die zu sehr am Status quo orientiert ist.


Globale Perspektiven und Vergleiche

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Länder mit klaren Prioritäten in Zukunftstechnologien – etwa Südkorea im Bereich Halbleiter, Israel im Bereich Cybersecurity oder die USA im Bereich Künstliche Intelligenz – ihre Innovationssysteme konsequenter auf nationale Strategien ausrichten. Die EU‑Staaten diskutieren derzeit die European Innovation Agenda, mit der höhere Investitionen in klimafreundliche Technologien und digitale Infrastruktur verknüpft werden sollen. Doch eine politische Einigung auf verbindliche Zielvorgaben erweist sich als schwierig, da nationale Eigeninteressen und föderale Strukturen einen gemeinschaftlichen Kurs behindern.


Kritische Risiken staatlicher Steuerung

Ein überbordender Einfluss der Innovationspolitik kann zu verschiedenen negativen Begleiterscheinungen führen. Werden Forschungs‑ und Technologieprogramme zu stark gesteuert, entsteht die Gefahr von Pfadabhängigkeiten, bei denen bestehende Industriezweige übervorteilt werden und disruptive Technologien kaum Chancen haben. Fachleute warnen vor einer „sponsored economy“, in der politische Beliebtheitswerte über die Vergabe von Fördergeldern entscheiden und nicht deren wissenschaftliche oder gesellschaftliche Relevanz.

Überdies besteht die Problematik, dass staatlich geförderte Großprojekte oftmals von Großkonzernen dominiert werden, die über die Ressourcen verfügen, um komplexe Anträge zu navigieren. KMU und Start‑ups bleiben zurück, obwohl gerade sie als Träger radikaler Innovationen und alternativer Geschäftsmodelle gelten. Die Folge ist eine Konzentration von Kapital und Macht, die dem ursprünglichen Gedanken eines dynamischen, vernetzten Innovationssystems widerspricht.


Rolle der Zivilgesellschaft und NGOs

Um ein NIS ausgewogen zu gestalten, fordert die Zivilgesellschaft stärkere Bürgerbeteiligung und mehr Transparenz bei der Mittelvergabe. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie die Stiftung Neue Verantwortung oder Transparency International plädieren für unabhängige Evaluationsgremien, um Interessenkonflikte zu reduzieren. Workshops und öffentliche Konsultationen sollen nicht nur Wissenschaftler und Unternehmer, sondern auch Verbände und Verbraucherorganisationen einbinden. So ließen sich gesellschaftliche Bedarfe – etwa im Bereich Pflege‑ und Gesundheitsinnovation – besser berücksichtigen.


Zukunft des Nationalen Innovationssystems

Vor dem Hintergrund globaler Krisen wie Klimawandel, demografischer Wandel und digitaler Transformation muss das NIS einer erhöhten Agilität folgen. Das bedeutet, dass klassische Förderstrukturen durch experimentelle Reallabore und schnelle Innovationsfinanzierungen ergänzt werden sollten. Ein Beispiel hierfür ist das Konzept der Living Labs, in denen Bürger, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Verwaltung gemeinsam neue Lösungen erproben.

Zugleich bleibt die Bildungspolitik ein Schlüsselbereich: Nur mit einer breit angelegten MINT‑Förderung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) können langfristig die Fachkräfte sichergestellt werden, die Innovationssysteme benötigen. Die EU‑Initiative Digital Skills and Jobs Coalition bietet hierzu einen Rahmen, ebenso wie nationale Programme für Berufsbildung und lebenslanges Lernen .


NIS

Das Nationale Innovationssystem stellt einen mächtigen analytischen Rahmen dar, um die Mechanismen von Forschung, Entwicklung und Kommerzialisierung zu verstehen. Seine Bedeutung für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftlichen Fortschritt ist unbestritten. Gleichzeitig zeigt die kritische Betrachtung: Eine zu starke Innovationspolitik kann klassische Industriepolitiken verdrängen, staatliche Steuerung überladen und Großkonzerne bevorzugen. Zentrale Herausforderungen bleiben, das NIS offener, agiler und partizipativer zu gestalten, um die Potenziale von Milieu, Mittelstand und Zivilgesellschaft gleichberechtigt zu mobilisieren. Nur dann kann der NIS seiner ursprünglichen Intention gerecht werden: einem dezentralen, dynamischen Netzwerk, das Innovationen fördert, statt sie zu monopolisieren.


Mehr über „Neue Methoden zur Stärkung von akademischen Unternehmertum“ erfahren, kann man zum Beispiel im gleichnamigen Video vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.