Neue Möglichkeiten des selektiven Laserschmelzens
März
Selektives Laserschmelzen
Neue Möglichkeiten des selektiven Laserschmelzens: Kupfer in der additiven Fertigung
Ein technischer Sprung mit weitreichenden Folgen
Das selektive Laserschmelzen (Selective Laser Melting, SLM) gilt heute als eine der Schlüsseltechnologien der additiven Fertigung. Bislang lagen die kommerziellen Anwendungen vor allem bei Stahllegierungen, Aluminium und Titan. Die Möglichkeit, Kupfer und Kupferlegierungen im SLM-Verfahren wirtschaftlich und in industrieller Qualität zu verarbeiten, würde die Einsatzfelder jedoch deutlich erweitern: Kupfer ist wegen seiner hervorragenden Wärme- und Elektrizitätsleitfähigkeit ein Basismaterial für Werkzeuge, Wärmeübertrager, elektrische Kontakte und Formen mit konturnaher Kühlung. Aktuelle Forschungsarbeiten — unter anderem am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT — haben Verfahren weiterentwickelt, die die bislang technisch schwierige Verarbeitung von Kupferpulvern erleichtern. Diese Entwicklung eröffnet große Chancen, bringt aber zugleich bedeutende technische, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen mit sich, die kritisch zu bewerten sind.
Warum Kupfer eine Herausforderung für SLM ist
Die physikalischen Eigenschaften von Kupfer machen den Produktionsprozess schwierig: Kupfer reflektiert in den bei SLM üblichen Infrarotbereichen einen erheblichen Anteil des Laserspektrums, was die Absorption reduziert. Zudem besitzt Kupfer eine sehr hohe Wärmeleitfähigkeit, so dass eingebrachte Energie rasch in das Umfeld abfließt. In der Folge entstehen instabile Schmelzzonen, unterbrochene Schmelzspuren und Spritzerbildung — Phänomene, die Porosität erzeugen und die Bauteilqualität mindern. Klassische SLM-Setups mit 200-Watt-Faserlasern reichen hier nicht aus. Die Forschungsarbeit am Fraunhofer ILT und an anderen Instituten hat gezeigt, dass sich diese Probleme durch eine Kombination aus höherer Laserleistung, angepasster Wellenlänge, gezielten Scanstrategien, Vorheizen der Bauteilplattform und strenger Prozessgas- und Pulverkontrolle abmildern lassen. Damit werden erstmals reproduzierbare Schmelzkerne und zusammenhängende Schichten möglich.
Technische Antworten: Was wurde verändert?
Die erfolgreichen Versuche beruhen nicht auf einem einzelnen „Zaubertrick“, sondern auf mehreren Prozessmodifikationen, die gemeinsam wirken. Höhere Laserleistungen (>1.000 Watt) liefern genügend Energie, um die hohe Wärmeabfuhr zu kompensieren. Zugleich spielen Laserwellenlängen eine Rolle: Kürzere Wellenlängen oder grüne Lasersysteme werden besser von Kupfer absorbiert als typische Yb-Faserlaserlängen im Bereich um 1.070 nm. Vorheizen der Bauplattform minimiert thermische Gradienten und reduziert Verzug sowie Rissbildung. Zusätzlich sind optimierte Pulvermischungen und spezielle Additive im Pulver sowie strenge Atmosphärenkontrolle (Inertgas, niedriger Sauerstoffanteil) nötig, um Oxidation zu verhindern. Weiterhin erfordern hochwertige Kupferbauteile anschließende Nachbehandlungen wie Hot Isostatic Pressing (HIP) zum Schließen verbliebener Poren, Wärmebehandlung zur Spannungsrelaxation und mechanische Nachbearbeitung zur Erzielung geforderter Oberflächenqualitäten. All diese Schritte erhöhen die Komplexität der Fertigungskette erheblich.
Anwendungsfelder und ihr Potenzial
Kupferbauteile aus dem SLM-Verfahren sind vor allem dort interessant, wo hohe Wärmeabfuhr und komplexe Geometrien zusammenkommen. Ein prominentes Beispiel ist die Werkzeugtechnik: Einsätze aus Kupferlegierungen in Spritzguss- und Druckgießwerkzeugen ermöglichen eine deutlich schnellere Wärmeabfuhr, was Zykluszeiten senkt und die Qualität der Kunststoffteile verbessert. Dank additiver Fertigung lassen sich diese Einsätze mit integrierten, konturnahen Kühlkanälen fertigen, die mit konventionellen Bohr- oder Fräsverfahren unmöglich oder nur mit großem Aufwand realisierbar wären. Weitere Anwendungen finden sich in Wärmetauschern mit optimalisierten Strömungspfaden, in Leistungselektronik als direkter Kühlkörper, in elektrischen Maschinen (optimierte Kontakte, Kühlstrukturen für Leistungselektronik) sowie in Sonderbereichen wie Luft- und Raumfahrt, wo intrinsische Leitfähigkeit und Gewichtsvorteile kombiniert werden.
Wirtschaftliche Bewertung: Vorteile und Grenzen
Die ökonomische Kalkulation entscheidet häufig, ob eine neue Fertigungstechnologie angenommen wird. Die additiven Möglichkeiten für Kupfer bedeuten klare Vorteile bei Funktionsintegration und bei der Herstellung hochkomplexer Volumen. Für kleine Serien oder Prototypen ist SLM häufig konkurrenzfähig. Bei Großserien jedoch dominieren weiterhin konventionelle Verfahren wie Gießen, Fräsen oder Erodieren (EDM) in Kosten und Taktzeit. Kupferpulver ist teurer als Standard-SLM-Pulver, die Prozesszeiten sind länger und der Energiebedarf steigt durch leistungsstärkere Laser und Vorheizsysteme. Außerdem erhöhen sich die Investitionskosten für Maschinen, die solch anspruchsvolle Parameter sicher handhaben können. Deshalb ist SLM von Kupfer in erster Linie für Teile wirtschaftlich, deren Bauteilfunktionalität traditionelle Fertigungsverfahren nicht liefern kann.
Qualitätsanforderungen, Prüfung und Zertifizierung
Für sicherheitskritische Anwendungen, etwa in der Luftfahrt oder Medizintechnik, gelten strenge Nachweispflichten. Additiv gefertigte Kupferbauteile müssen zerstörungsfrei (NDT) und zerstörend geprüft, Prozess- und Materialzertifikate vorgelegt und wiederholbare Fertigungsparameter etabliert werden. Computed Tomography (CT) zur Volumenprüfung, mechanische Prüfungen unter definierten Beanspruchungszuständen sowie Langzeitprüfungen sind erforderlich. Für die Industrie bedeutet dies zusätzliche Prozesskosten und längere Qualifizierungszeiten. Zudem besteht ein regulatorischer Aspekt: Klassische Normen für gegossene oder bearbeitete Kupferwerkstoffe müssen erweitert werden, um additiv gefertigte Bauteile angemessen zu beurteilen.
Ökologische und sicherheitstechnische Aspekte
Kupfer ist ein wertvoller Rohstoff, dessen Abbau und Aufbereitung ökologisch belastend sein können. Additive Prozesse erzeugen feines Metallpulver, das besonderen Umgang erfordert: Explosions- und Brandrisiken bei feiner Pulversuspension, Gesundheitsrisiken bei Inhalation und die Notwendigkeit sicherer Rückgewinnungs- und Recyclingsysteme. Die höheren Laserleistungen und Nachbehandlungsprozesse treiben zudem den Energiebedarf in die Höhe; bei der Ökobilanz ist daher zu prüfen, ob die Energieeinsparung im späteren Produktbetrieb (z. B. kürzere Spritzgusszyklen) die Fertigungsenergie kompensiert. Recyclingkonzepte für verbrauchte Pulvermengen und überschüssige Partikel sind Pflicht, ebenso wie arbeitsplatzbezogene Schutzmaßnahmen in Produktionsumgebungen.
Kritische Risiken: Technologische und gesellschaftliche Perspektiven
Die neue Technik ist nicht frei von Problemen. Erstens besteht die Gefahr, dass ein enges Patent- und Lizenznetzwerk um spezielle Pulverlegierungen, Prozessparameter oder Nachbehandlungsverfahren entsteht, das kleine und mittlere Hersteller ausschließt. Zweitens können militärische Anwendungen die Diskussion um Technologietransfer verschärfen: Leichtbauende, wärmeleitende Kupferbauteile sind nicht nur zivil nützlich, sondern auch für Waffensysteme interessant. Drittens besteht das Risiko eines Hypes: Investitionen in teure Anlagen können sich als Fehlinvestition erweisen, wenn die Serienfähigkeit oder die wirtschaftliche Skalierbarkeit nicht erreicht wird. Schließlich ist die Qualifizierung für sicherheitskritische Bereiche aufwendig; eine unkritische Übertragung von Laborergebnissen in die Serienproduktion würde zu Ausfällen und Haftungsfragen führen.
Checkliste für den industriellen Einsatz (Bullet-List)
- Sicherstellung der Supply-Chain für hochwertiges Kupferpulver und Recyclingprozesse.
- Validierte Prozessparameter inklusive Laserleistung, Wellenlänge, Scanstrategie und Vorheizeinstellungen.
- Maßnahmen zur Oxidationsvermeidung und Atmosphärenkontrolle im Druckraum.
- Nachbehandlungsplan (HIP, Wärmebehandlung, mechanische Bearbeitung) zur Erzielung der geforderten Materialeigenschaften.
- Prüfkonzept mit NDT-Methoden (CT-Scans, Ultraschall) und zerstörenden Prüfungen.
- Arbeitssicherheitskonzept für Pulverbhandling und Laserbetrieb.
- Wirtschaftlichkeitsanalyse gegenüber konventionellen Fertigungsverfahren.
- Strategie zur Patent- und IP-Landschaft, Lizenzprüfungen und Open-Source-Alternativen.
- Governance-Prozesse für Einsatzfelder mit hohem Sicherheitsbedarf und regulatorische Compliance.
Chance mit Verantwortung
Die Erweiterung des SLM-Verfahrens auf Kupferlegierungen ist ein bedeutender Fortschritt der additiven Fertigung. Sie schafft neue Konstruktionsfreiheiten und ermöglicht Funktionsintegration, die vorher undenkbar oder extrem teuer war. Die Technologie ist besonders interessant für Nischenanwendungen mit hohem Mehrwert. Gleichzeitig verlangt sie neue Standards, robuste Prozessketten, nachhaltige Rohstoffkonzepte und eine kritische Auseinandersetzung mit Patent- und Sicherheitsfragen. Entscheider in Industrie und Forschung sollten die Chancen nutzen, aber mit Zurückhaltung und methodischer Qualifizierung vorgehen: Nur wer Prozesse fachgerecht validiert, Material- und Umweltfolgen bewertet sowie ethische und sicherheitspolitische Risiken berücksichtigt, wird den Vorteil dieser Technologie langfristig realisieren können.