Wahlmanipulation am Wahlcomputer

21
Nov.

Wahlcomputer bieten den Bürgern keine Sicherheit

Wahlcomputer

Engagierte US-Informatiker haben einen angeblich praxistauglichen Wahlcomputer so manipuliert, dass darauf der Videospielklassiker Pac-Man gespielt werden konnte. Es handelte sich dabei um ein so genanntes DRE-Gerät (Direct Record Electronic) des US-Herstellers Sequoia.

Die kompetenten Forscher mussten noch nicht einmal die Versiegelungen des Wahlcomputers brechen, die eigentlich laut Herstellerangabe auf Manipulationen hinweisen sollten. Die Informatiker sahen ihre These erneut bestätigt, nach der das Modell „AVC Edge“ auch für Wahlmanipulationen anfällig sei, das erschreckenderweise noch 2008 in den USA genutzt wurde.

Wahlmanipulation am Wahlcomputer: Warum elektronische Urnen kein Allheilmittel sind


Das Versprechen und die Gefahr elektronischer Wahlen

In Zeiten, in denen das Vertrauen in demokratische Prozesse vielfach erschüttert wird, gelten elektronische Wahlcomputer mancherorts als vermeintlicher Weg zu schneller, effizienter und transparenter Stimmabgabe. Doch der Fall des „Pac‑Man‑Hack“ aus den USA zeigt, dass solche Geräte erhebliche Sicherheitsrisiken bergen. Bereits 2006 manipulierten Informatiker ein Direct Record Electronic‑Gerät (DRE) des US‑Herstellers Sequoia so, dass statt Wahlergebnissen das Computerspiel Pac‑Man gestartet wurde. Dieser spektakuläre Eingriff belegt nicht nur die Verwundbarkeit der benutzten Hardware, sondern auch fundamentale Schwächen in der Sicherheitsarchitektur und im Prüfverfahren. Angesichts dessen müssen Fragen nach der Integrität elektronischer Wahlen neu gestellt werden.


DRE‑Geräte und ihre Funktionsweise

Direct Record Electronic‑Wahlmaschinen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Stimmabgaben unmittelbar in elektronischer Form aufzeichnen. Anders als bei papierbasierten Systemen fehlt der physische Wahlzettel als unabhängiges Backup. Die Wähler führen ihre Auswahl per Touchscreen, Tastenfeld oder Stylus aus, und das Gerät übersetzt diese Eingaben in digitale Datensätze. Diese Daten werden in nichtflüchtigen Speichern gesichert und am Wahlabend zu einem zentralen Server übertragen, der das Gesamtergebnis errechnet.

Die Vorteile eines reinen digitalen Ablaufs scheinen auf den ersten Blick verlockend: schnelle Auszählung, reduzierte Personalkosten und unmittelbare Ergebnisse. Doch schon beim genauen Blick auf die Technik offenbart sich ein Dilemma: Software ist von Natur aus veränderbar. Wo Gastlichkeit für mathematische Genauigkeit vorgegaukelt wird, lauern in jeder Codezeile potenzielle Hintertüren. In einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Deutschland hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) daher auf die Notwendigkeit eindeutiger Prüfprotokolle hingewiesen, wie sie in den „Technischen Richtlinien für Wahlgeräte“ erläutert werden .


Der Pac‑Man‑Hack: Ein Weckruf für die IT‑Sicherheit

Das Experiment mit dem Wahlcomputer AVC Edge der Firma Sequoia wurde von einer Gruppe engagierter US‑Informatiker durchgeführt, die bereits zuvor Schwachstellen in Wahlgeräten aufgedeckt hatten. Ohne die sichtbaren Versiegelungen öffnen zu müssen, installierten sie eine manipulierte Firmware, die das Gerät bei jeder Inbetriebnahme in den Spielmodus versetzte. Dieses Vorgehen unterminierte gleich mehrere Sicherheitsversprechen: Die Integritätsschutzmechanismen, die vor unbefugtem Zugriff warnen sollten, waren wirkungslos. Die fiskalischen Prüfungen vor und nach der Wahl, etwa durch Testabstimmungen, scheinen sich ebenfalls als trügerisch erwiesen zu haben. Wer auf dem Bildschirm Pac‑Man spielt, statt Stimmen zu zählen, hätte nach offizieller Lesart niemals unbemerkt bleiben dürfen. Doch die Forscher bewiesen das Gegenteil.

In Deutschland wurde der US‑Hack eingehend im Rahmen von Sicherheitstests an Wahlmaschinen untersucht. Der Generalbundesanwalt und das BSI mahnen seitdem, dass auch modernste Geräte fundamental anfällig sein können, wenn ihre Software weder offen geprüft noch physisch vor Manipulation gesichert ist. Die Konsequenz: Die Zulassung elektronischer Wahlgeräte in Deutschland wurde seit 2009 de facto ausgesetzt, bis hin zu dem politischen Konsens, dass Paper‑Trail‑ Systeme (Wahlzettel als zweites Medium) unabdingbar sind .


Sicherheitsarchitektur: Ein trügerisches Vertrauen

Elektronische Wahlmaschinen wie der AVC Edge basieren auf proprietärer Software, die nur ausgewählten Prüfern zugänglich ist. Staatliche Stellen berufen sich auf geheime Prüfungen durch zertifizierte Labore, doch Kritiker bezweifeln die Unabhängigkeit dieser Verfahren. Selbst wenn Source‑Code‑Reviews stattfänden, bliebe die Frage unbeantwortet, ob die getestete Version tatsächlich mit jener in den Wahllokalen installierten übereinstimmt.

Zudem ist die physische Sicherheit der Geräte eine häufig unterschätzte Hürde. Türschlösser, Siegel, mechanische Sperren und Alarmsensoren geben ein trügerisches Gefühl der Unveränderbarkeit. In der Praxis zeigen sich genau hier die Schwachstellen: Gezielte Angriffe auf Stromversorgung oder Netzwerkanschlüsse können bereits ausreichen, um das interne Dateisystem zu überspielen. Eine Studie der ETH Zürich belegt, dass allein kurze Zugriffszeiten genügen, um kritische Sektoren von Festplatten zu manipulieren, ohne dass nachfolgende Integritätsprüfungen Alarm schlagen (englisch).


Demokratie in Gefahr: Manipulation durch staatliche Akteure

Die größte Sorge gilt nicht den IT‑Profis, die aus reiner Neugier hacken, sondern staatlichen Stellen, die Wahlen zu ihren Gunsten beeinflussen könnten. In autoritären Regimen beobachten Geheimdienste und Sicherheitsapparate mit Argusaugen jede technische Neuerung. Wahlcomputer, so warnen Menschenrechtsorganisationen, können genutzt werden, um Wahlen ohne Spur einer physischen Protestbewegung „anzureichern“ – indem Ergebnisse direkt in der Elektronik gefälscht werden. Selbst demokratische Regierungen könnten in Versuchung geraten, ausgeklügelte Manipulationssoftware einzusetzen, um minimale Wahlniederlagen zu kaschieren oder gewünschte Mehrheiten künstlich zu begünstigen.

In einer Langzeitstudie des Carnegie Endowment for International Peace wird dargelegt, wie Regierungen gezielt technische Standards verwässern oder nationale Zulassungsstellen unterwandern, um Wahlcomputer ohne effektive Unabhängigkeit zu implementieren. Sobald ein manipulationsfreier Paper‑Trail fehlt, erweist sich die Nachzählsicherheit als Illusion (englisch).


Großkonzerne und wirtschaftliche Interessen

Neben staatlichen Akteuren haben auch große Technologieunternehmen ein wirtschaftliches Interesse an der Verbreitung elektronischer Wahlsysteme. Sie locken Parlamente und Behörden mit kostengünstigen Komplettlösungen, umfassendem Support und international anerkannten Referenzen. Die Bindung an proprietäre Plattformen erzeugt jedoch vendor lock‑in: Einmal installiert, lassen sich Hard‑ und Software nur schwer austauschen, ohne den kompletten Prüf‑ und Zertifizierungsprozess neu anzustoßen.

Experten und NGOs kritisieren, dass der wirtschaftliche Druck von Herstellern die politische Debatte dominiert. Wohin konkurrierende Anbieter wenig Ressourcen investieren, um alternative, offene Systeme zu entwickeln. So gerät die Demokratie in Abhängigkeit von wenigen Konzernen, die ihre Systeme nicht transparent legen und nachlaufende Sicherheitskopien verweigern. Eine Untersuchung der Universität Bochum belegt, dass marktführende Hersteller weltweit mehr als 70 Prozent der elektronischen Wahlsysteme kontrollieren (englisch).


Papier und elektronische Systeme: Ein unauflöslicher Kompromiss

Nach Jahren intensiver Debatten hat sich eine kritische Erkenntnis durchgesetzt: Elektronische Wahlcomputer ohne einen unabhängigen, handfesten Papiernachweis gefährden die Wahlfreiheit. Nur ein zwei‑stufiges Verfahren, bei dem jede digitale Stimmabgabe durch einen physischen Ausdruck bestätigt wird, bietet zumindest eine Möglichkeit zu kontroversen Nachzählungen. Doch auch hier bleiben Fallen: Fälschungen am Ausdrucksmodul, manipulierte Drucker oder falsche Testprotokolle können die Integrität untergraben.

International wird diese hybride Lösung unterschiedlich umgesetzt. In Brasilien existiert ein Paper‑Audit‑Trail, doch Experimente zeigen, dass selbst dort Fälschungen ohne statistischen Alarm möglich sind. In Estland verwendet man ausschließlich digitale Verfahren, die jedoch auf lückenlosen digitalen Identitäten basieren – ein Ansatz, der massive Überwachungspotenziale eröffnet und Bürgerrechte langfristig untergraben könnte.


Wege aus der Krise: Technische und politische Reformen

Wahlcomputer werden nicht grundlegend verschwinden; ihre Schnelligkeit und Benutzerfreundlichkeit sind verlockend. Dennoch bedarf es umfassender Reformen, um Manipulationen auszuschließen. Erstens müssen Software‑Quellcodes und Hardware‑Designs offen zugänglich sein, sodass unabhängige Sicherheitsforscher weltweit testen und auditieren können. Zweitens braucht es verpflichtende Pentests, bei denen externe Spezialistenteams stets neue Angriffsszenarien simulieren dürfen. Drittens sollten Zulassungsstellen unabhängig von Regierungsstellen und Herstellern agieren und demokratisch legitimiert sein.

Politisch müssen Parlamente und Regierungen den Mut haben, Sicherheit über Bequemlichkeit zu stellen. Debatten über Wahlsysteme dürfen nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden, sondern müssen öffentlich, transparent und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfinden. Bürgerforen, öffentliche Teststände und Online‑Beteiligungsplattformen können helfen, das Verständnis für digitale Sicherheit zu stärken.


Vertrauen durch Transparenz

Die Digitalisierung demokratischer Prozesse bleibt ein ambitioniertes Projekt. Wahlcomputer können Wahllokale entlasten und Ergebnisse beschleunigen, doch sie dürfen nicht zum Trojanischen Pferd werden, das das Fundament freier Wahlen untergräbt. Nur durch radikale Transparenz, offene Standards und echte Unabhängigkeit der Prüfinstanzen lässt sich Vertrauen wiederherstellen. Wenn Staaten und Konzerne vor das Wohl der Demokratie zurücktreten, verpufft der Glanz des technischen Fortschritts. Ein robustes Wahlsystem braucht nicht nur Bits und Bytes, sondern vor allem die kritische Wachsamkeit einer informierten Gesellschaft.